jesus 11. Dez 2025

Maimonides vs. Jesus

Die Statue von Maimonides in seiner spanischen Geburtsstadt Cordoba.

Die Auseinandersetzung über den Messias und das «auserwählte Volk» hat das Verhältnis zwischen Juden und Christen von Anfang an geprägt. Ein Blick auf Maimonides’ scharfe Kritik an Jesus, mittelalterliche Predigten und die Judenmission des 19. Jahrhunderts zeigt, wie tief diese Spannung reicht.

Seit dem Aufkommen des Christentums in den ersten Jahrhunderten nach Christus sahen sich die Juden mit dem Vorwurf konfrontiert, Jesus Christus als Messias abgelehnt und sich zudem seines Mordes schuldig gemacht zu haben. Vor dieser Zeit war es vor allem ihr Monotheismus gewesen, der mit Argwohn betrachtet wurde. Darüber hinaus bekämpften sich Juden und Christen, vor allem im Mittelalter, heftig in der Frage des von Gott auserwählten Volkes. Gleichzeitig waren Juden ein integraler Bestandteil der europäischen Gesellschaften, in denen Juden und Christen zusammenlebten, Handel trieben und das religiöse Leben des jeweils anderen beobachteten. Dieser Kontakt führte zu allen möglichen Äusserungen von Ablehnung, Provokation und Aggression – auch von jüdischer Seite.

Maimonides und Jesus
Einer der bekanntesten jüdischen Denker, der sich ausführlich zu Jesus geäussert hat, ist Moses Maimonides (1138–1204). Einer seiner wichtigsten Texte ist sein Kommentar zur Mischna. Darin werden unter anderem seine dreizehn Glaubensgrundsätze des Judentums behandelt. Der zwölfte dieser keineswegs umstrittenen Bestandteile des jüdischen Glaubensbekenntnisses ist der Glaube an das Kommen des Messias.

In einem Brief an die Juden von Jemen wird dieser zwölfte Glaubensgrundsatz ausführlich behandelt. Anlass für Maimonides’ «Iggeret Teman», geschrieben zu Beginn der 1170er Jahre, war ein Brief oder eine Reihe von Briefen des jemenitischen Rabbiners Jacob ben Netanel al-Fajjumi. Unter den Juden im Jemen war grosse Unruhe ausgebrochen, nachdem viele von ihnen 1165 gezwungen worden waren, zum Islam zu konvertieren. Dies stand im Widerspruch zu der oft relativ toleranten Haltung der arabischen Welt gegenüber den Juden im Mittelalter. Als sich dann auch noch ein falscher Messias präsentierte, der sowohl unter Juden als auch unter Muslimen eine grosse Anhängerschaft fand, war die Panik komplett. Jacob ben Netanel suchte Unterstützung beim grossen geistlichen Führer aus Fustat, dem alten Kairo, und fand sie auch.

Maimonides’ Brief enthält eine lange Erklärung, warum der Mann im Jemen nicht der Messias sein kann. Die auffälligsten Argumente, die er dabei verwendet, sind die Tatsache, dass der Messias von Eretz Israel in die Diaspora geht und nicht umgekehrt, und die Tatsache, dass der Messias der grösste aller Propheten sein wird, was der jemenitische Messias eindeutig nicht war. Nach dieser Argumentation verlagert Maimonides seine Aufmerksamkeit jedoch plötzlich vom Jemen auf die christliche Welt.

«Sie wissen natürlich, dass die Christen Jesus von Nazareth, mögen seine Knochen gebrochen werden, alle möglichen Wunder zuschreiben, wie die Auferweckung von Toten und andere ihm zu Unrecht zugeschriebene Wunder. Aber selbst wenn wir den Christen um der Diskussion willen gestatten würden, für ihre Sache zu plädieren, würden sie es dennoch niemals schaffen, uns davon zu überzeugen, dass Jesus der Messias ist, denn es gibt in der Schrift vielleicht tausend Stellen, die zeigen, dass er es nicht ist, selbst wenn wir von ihren eigenen Beweisen ausgehen würden. Nur wer sich selbst blamieren will, wagt es, sich die hier beschriebenen Eigenschaften zuzuschreiben.»

Polemik und mehr
Maimonides’ sehr harte Sprache über Jesus ist auffällig. Da ist zunächst einmal die Verwendung des Ausdrucks «mögen seine Knochen gebrochen werden». Dieses plastische Bild finden wir in Psalm 34,21, aber auch im Neuen Testament in Johannes 19,31. Der Maimonides-Kenner Isadore Twersky führt die krassen Formulierungen auf die polemische Struktur des Briefes – des ansonsten als tolerant gegenüber anderen Religionen bekannten Maimonides – zurück. Dabei vergisst er meiner Meinung nach, dass in diesem von Ägypten nach Jemen geschickten Brief das Christentum als solches keine praktische Rolle von Bedeutung gespielt haben musste. Man darf auch nicht vergessen, dass Maimonides im Mittelalter schrieb, einer Zeit, in der man vor scharfer Rhetorik nicht zurückschreckte. Wie dem auch sei: Jesus konnte nach Maimonides’ Urteil niemals der Messias sein. Im Übrigen wurde der jemenitische falsche Messias nach etwa einem Jahr von den arabischen Herrschern entlarvt. Er versuchte noch, seine Rechtmässigkeit zu beweisen, indem er anbot, sich den Kopf abschlagen zu lassen, da er ohnehin wieder auferstehen würde. Letzteres gelang ihm nicht, ersteres schon.

Schwedische Predigt
Ein christliches Genre, das seit dem Mittelalter überliefert ist, ist das der Predigten. Es fällt auf, dass in christlichen Kreisen ausführlich über Jesus und «die Juden» gepredigt wurde und wird, während ich mich ehrlich gesagt nicht daran erinnern kann, jemals in der Synagoge eine Derascha gehört zu haben, die Jesus gewidmet war. Predigten bieten einen hervorragenden Einblick in den mittelalterlichen christlichen Judenhass, und es sind viele Tausende aus ganz Europa überliefert. Ein Beispiel aus einer Sammlung antisemitischer Texte aus 2000 Jahren europäischer Geschichte, die ich zusammen mit der Forscherin Ruth Peeters auf holländisch herausgegeben habe (Augenzeugen des Antisemitismus. Europäischer Judenhass in mehr als vierzig Texten. Prometheus, Amsterdam 2025), ist eine anonyme schwedische Predigt. Es handelt sich um eine von hundert Predigten, die um 1450 von einem nicht genannten Prediger niedergeschrieben wurden.

«Ausserdem müssen wir beim Lesen der Bibel die Geduld unseres Herrn Jesus Christus und die Boshaftigkeit und teuflische Wut der Juden beachten, von denen am Ende der Lesung gesagt wird, dass sie Steine aufhoben und ihn steinigen wollten. Wir lesen, dass die Juden bereits vor seiner Kreuzigung zweimal vorhatten, unseren Herrn Jesus Christus zu töten. Einmal, als sie ihn auf den Gipfel einer extrem hohen Klippe brachten und ihn hinabstürzen und töten wollten. Da verschwand er vor ihren Augen und lief direkt durch die versammelte Menge zurück. So konnten sie ihm nichts antun.

Mit diesen verfluchten Juden sind sündige Menschen gemeint, die nicht fest an Gott glauben und ihn mit guten Taten preisen. Wie der Prophet Salomo dazu sagte (Jakobusbrief 2:14–25): «Was nützt es, meine Brüder, wenn jemand behauptet, Glauben zu haben, aber keine Werke vorzuweisen hat? Kann dieser Glaube ihn retten?» Mit einer hohen Klippe sind die Herzen arroganter Menschen gemeint, die es vorziehen, den Herrn mit ihrer Arroganz und ihrem Hochmut von sich zu stossen, anstatt demütig und geduldig in seiner Nähe zu bleiben. Wie der Prophet David sagt (Psalm 104:18): ‹Die hohen Berge sind für die Steinböcke, die Felsen eine Zuflucht für die Stachelschweine.›

Weltliche Arroganz
Mit diesen Steinböcken, die arrogante und rücksichtslose Tiere sind, ist der Teufel gemeint, der immer eine Bleibe und Gesellschaft in den Herzen arroganter Menschen findet. Und mit Stachelschweinen sind scharfe Tiere gemeint, die stechen – die teuflischen Stiche, die das Gewissen der Menschen zu weltlicher Arroganz und der Hoffnung auf Erfolg bei neuen Verstössen anstacheln, bestehend aus unmoralischer und ungesetzlicher Kleidung und Beleidigungen ihrer Mitchristen. Unser Herr ist nicht mit Menschen, die sich so verhalten, sondern er zieht es vor, noch weiter von ihnen zu fliehen, wenn sie sich zu diesem Zweck im Gebet an ihn wenden.»

Und dann ist da noch die Judenmission. Teil davon war im 19. Jahrhundert die Übersetzung des Neuen Testaments ins Hebräische durch den Lutheraner Franz Julius Delitzsch (1813–1890), die seit 1877 in vielen Ausgaben erschienen ist. Der ebenfalls lutherische Gustaf Dalman (1855–1941) hatte von Delitzsch am Ende seines Lebens den Auftrag erhalten, den Text zu modernisieren. In einer Besprechung seiner Arbeit aus dem Jahr 1892 liess er keinen Zweifel an seinen eigenen Beweggründen: «Eine Übersetzung der Heiligen Schrift für praktische Zwecke bleibt, wenn sie nicht nur eine blosse Paraphrase ist, immer etwas unvollkommen. Es war kein Zufall, sondern göttliche Vorsehung, dass die vollendete Offenbarung in Christus nicht in aramäischer oder hebräischer Sprache, sondern in griechischer Sprache in die Welt kam, und es ist auch kein Zufall, sondern eine Folge des von Israel über sich selbst verhängten Urteils, dass das Wort des erfüllten neuen Bundes nicht als hebräisches Original, sondern als Übersetzung aus dem Griechischen zu ihm zurückkehrt. Aber möge dieses neue Angebot der Erlösung in der hebräischen Sprache, in der Christus, «der nach dem Fleisch aus dem Samen Davids geboren wurde», zum zweiten Mal unter seinem Volk erscheint, für sie nicht ein Geruch des Todes, sondern des Lebens und der Erlösung sein.»

Es ist interessant zu vergleichen, wie oft das Alte Testament und das alte Volk in der Denkwelt der Christen vorkommen – und noch immer vorkommen. Das Christentum kann seine Verbundenheit mit der jüdischen Tradition nun einmal nicht leugnen. Umgekehrt bleibt diese Fixierung viel weniger prominent, ob es der christlichen Welt gefällt oder nicht: Ein Judentum ohne Christentum kann durchaus existieren. Umgekehrt ist das offenbar weit komplizierter.

Emile Schrijver ist Generaldirektor der jüdischen Museen «Joods Cultureel Kwartier» in Amsterdam und Professor für jüdische Buchgeschichte an der Universität von Amsterdam.

Emile Schrijver