jesus 11. Dez 2025

Born Again und Wiedergeburt

Boby Dylans Wandlungen und Maskeraden bis zu einer Jesus-Phase forderte jeweils die Fangemeinde heraus.

Bob Dylan hat um 1980 von der Bühne herab gepredigt. Er sah Jesus demnächst zurückkehren. Das war nur von kurzer Dauer. Seither wehrt er sich gegen religiöse Kategorisierungen jeglicher Art. 

Etwas Schrägeres hätte er sich schwerlich einfallen lassen können. Hosen mit Schlag und Miniröcke wurden langsam langweilig, die Eintönigkeit der Discomusik war nur noch öde, Atomkraft nein danke, Friede zwischen Ägypten und Israel brach aus, der Vietnamkrieg war vorüber, Saddam Hussein, die Islamische Revolution und Margaret Thatcher kamen an die Macht und zwei Familien war es gelungen, im Ballon aus der DDR zu flüchten.

Dylans Endzeit
«My Sharona» von The Knack und «Bad Girls» von Donna Summer führten die Billboardcharts an und «Y.M.C.A.» der Village People kroch als Ohrwurm über den Globus. In solch ratterndem Leerlauf stellte sich Bob Dylan in Arizona, auf die Bühne des Gammage Center und begann sein Publikum zu interviewen:

«Wie viele von euch wissen, dass wir jetzt am Ende der Zeiten leben?» will der 38-jährige Sänger wissen. Es zeigt sich, dass es ihm wirklich wichtig ist. «Wie vielen von euch ist das bewusst?» doppelt er nach. «Interessiert das jemanden, dass wir in der Endzeit leben? Wie viele wissen das? Ruft einfach, oder gebt ein Zeichen» – und das Publikum ruft und pfeift. Doch doch, es sei so, wir lebten in der Endzeit, bestätigt der Sänger, der auch schon bessere Tage gesehen hat. Die «Rolling Thunder Revue» und die Scheidung von seiner Frau Sara Lownds, die eigentlich Shirley Marlin Noznisky heisst, liegen hinter ihm, Dylan ist ausgelaugt. Er hat sich eben in Malibu ein Grundstück gekauft. Nach einem kometenhaften Aufleuchten als Poet-Singer-Songwriter, der unter den Folkies und aus der Bürgerrechtsbewegung hervorstach und zur «Stimmer der Generation» gekürt wurde – nach der dichten Folge seiner innovativen Platten floppt jetzt sein Film «Renaldo and Clara» gewaltig, und über seine neueste LP «Street Legal» wird er selber später sagen, er habe sich damals vom Strom mitreissen lassen und sein Talent nicht im Griff gehabt.

Zeitenänderung
«Well, we are, we‘re living in the end times», wirft er ins aufgewühlte Publikum. Und aus diesem hallt es prompt zurück: «The times they are a-changin’!» Ob der Rufer ihn an seine Aufgabe erinnern will, freundlichst weiterzusingen, oder ob auch er das Ende der Zeiten mit dem Dylan-Zitat meint, weht im Wind; jedenfalls greift der Redner den zugespielten Ball meisterhaft auf: «That‘s right, I told you that.» – «Stimmt, das habe ich euch gesagt, ich sagte euch, dass sich die Zeiten ändern. Und das schon vor 20 Jahren. Und ich glaube nicht, dass ich euch je belogen habe. Ich glaube nicht, dass ich je etwas gesagt habe, das eine Lüge gewesen wäre. Nie habe ich Wahlempfehlungen abgegeben. Nie gesagt, ihr sollt jemandem folgen.»

Der Verdacht, er betreibe den üblichen Smalltalk, ist abgeschüttelt. In diesen wenigen Sätzen hat Bob Dylan sich von einem Singer-Songwriter, der «Don’t follow leaders, watch the parking meters» rappte, in etwas ganz anderes verwandelt: in einen Prediger, der sich als Überbringer der Wahrheit und als Künder der Endzeit gebärdet. En passant streift er das ungewollte Etikett des Polit-Protestsängers auch noch ab.

Kopfschütteln
Der Schritt vom rollenden Donner zum wandernden Prediger war ein Schock. «Well, Jesus saw this woman», fährt er fort und erzählt die Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin aus dem Johannesevangelium bis zu den sprichwörtlich gewordenen nicht geworfenen Steinen brav durch, ganz im Duktus evangelikaler Prediger: «Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Well, sie liessen alle ihre Steine fallen und gingen davon.» Doch damit hat es das Publikum noch nicht ausgestanden. Dylan kommt erst gerade in Fahrt. Der Teufel beherrsche diese Welt, verkündet er. «Ich liebe Amerika, das muss ich sagen.» Aber Amerika würde gerichtet werden, you know. Gott warne erst durch ökonomischen Abstieg, dann gehe es ökologisch bachab. Man sehe das im Übrigen im Nahen Osten – einst ein blühender Garten! Heute Wüste.

Im Publikum greift man sich an die Köpfe. Der grösste Poet und Meister der Vielschichtigkeit verleugnet sich und plappert Gelerntes nach. Gut, andere unterlagen Überdosen oder verschwanden im Kommerz, dieser scheint sich ins Dogmatische zu flüchten und zückt eine handfeste Prophezeiung. Nütze all das nämlich nichts, fahre Gott als Drittes eine feindliche Nation auf. Man werde schon sehen, in wenigen Jahren, so drei bis fünf, würden Russland und China in Nahost einfallen und die Schrift erfüllen: Armageddon, einem Krieg, wie man ihn noch nicht gesehen hätte, werde das Königreich Christi folgen. Jesus werde von Jerusalem aus herrschen. So stehe es in der Bibel. Es folgt das Bekenntnis, «that solid rock» Jesus, so der Rock-and-Roller mit seinem Hit «Like a Rolling Stone» auf dem Buckel (der langsam nach dem Felsen zu riechen begann, auf den Moses – als umgedeutete Präfiguration Christi – in der Wüste schlug), sei schon einmal hier gewesen. Doch er komme zweimal. Noch stehe davon nichts in den Zeitungen, aber das ereigne sich jetzt: Jesus ist schon unterwegs.

In Parabeln
Jetzt ist es aber genug. Jemand aus der Halle nimmt das Spiel wieder auf und hält ihm ketzerisch seinen eigenen Gassenhauer entgegen: «Everybody must get stoned!» Abermals zerbricht die Haltung des Mannes da auf der Bühne nicht. Er ist es gewohnt, ausgebuht zu werden. Ein weiteres Mal übt er mutig und öffentlich exegetische Selbstkorrektur, und jenes subtile kollektive Steinerücken mit den Wortbedeutungen geht weiter. Vom «stone» der Steiniger zum «solid rock» Jesus, dem «Fels des Heils», zur moderneren Bedeutung von «stoned», bekifft, rollt Dylan weiter: «Ihr habt Drogen, an die ihr euch hält. Vielleicht einen Job, eine Ausbildung, an denen ihr euch festhält. Aber in den Zeiten, die da kommen, werdet ihr etwas sehr Solides brauchen, an das ihr euch halten könnt.» Jesus habe in Parabeln zu den Menschen gesprochen. Allen predigte er dasselbe. Die einen glaubten es, die anderen nicht. Aber er versteckte seine Wahrheit nicht. – Offensichtlich, mochte man sich denken, ganz wie er hier, Sohn der Jüdin Beatrice Stone. Und dann kündigt er den nächsten Song an: «Hanging On to a Solid Rock, Made Before the Foundation of the World». Und legt los.

Wiedergeburt
In den Liner Notes für die 1974 in seinem eigenem neuen, schofarartigen Label «Ram’s Horn Music» erschienenen «Planet Waves» hatte Dylan noch von «Hebrew letters on the wall» und der Jakobsleiter geschrieben. Als der als Jude geborene predigende Songwriter von 1979 bis 1981 mit «Slow Train Coming», «Saved» und «Shot of Love» drei Platten mit eigenen Gospelsongs herausbrachte, waren darunter allerdings Titel, von denen nicht wenige dachten, dass sie zum Besten gehörten, was in diesem Genre von Nicht-Afrikanern oder Nicht-Afroamerikanerinnen je komponiert worden sei. Eine Zeitlang tourte er nur mit diesem Material. Das Gemunkel, er habe sich taufen lassen, hielt sich.

Das 1983 folgende, von Mark Knopfler produzierte Album trug dann den programmatischen Titel «Infidels», «Ungläubige». Er war inzwischen bei Chabad Lubavitch gesichtet worden und nach Israel gepilgert. Viele atmeten auf und meinten, der Spuk sei vorbei.

Doch Jesus war von Anfang an da gewesen. Auf seiner ersten, 1961 aufgenommenen Platte sang er Jesus’ Namen nicht weniger als zwölfmal. Das waren zwar nicht seine eigenen Songs, doch auch in denen hatte Jesus seinen Platz. In seiner Verdammung der «Masters of War» konnte er auf Verstärkung vertrauen: «Even Jesus would never / Forgive what you do».

Jahrzehntelang wurde rauf und runter spekuliert. Ist er getauft, ein «born-again Christian»? Ist er re-chabadisiert, wenn sogar Chabad-Rabbiner bis heute in ihren Auseinanderlegungen Dylan zitieren? So klar er sich damals zu Jesus bekannte, so mied er später solche Festlegungen wie der Teufel das Weihwasser. Mit der Zeit wurde rekonstruiert, wie er in den frühen Siebzigern auf der Suche war, wie eins zum anderen führte, und als ihm am 17. November 1978 jemand in San Diego ein kleines Silberkreuz auf die Bühne warf, hob er es auf. In der folgenden Nacht soll er in einem Hotelzimmer von Jesus’ Anwesenheit übermannt worden sein. Seine engen Freundinnen Helena Springs und Mary Alice Artes (sie wird auf «Street Legal» Queen Bee genannt und soll seinen Heiratsantrag abgewiesen haben) hatten ihn darauf vorbereitet und brachten ihn zu ihrer charismatischen evangelikalen Vineyard Christian Fellowship, der sich unser Mann anschloss. Larry Myers und Paul Emond wurden zu ihm nach Hause entsandt. Alle waren sich einig. Shabtai Zisel ben Avraham, vulgo Robert Allen Zimmerman, bekannt als Bob Dylan, hatte den Herrn empfangen.

Von Talmud zu Bibel
Dylan war aber von allem Anfang an ein Suchender und portraitiert sich auch als solcher. Er liess auch Jeschiwot in Israel nicht aus. Dass er sich in ein System einfügte, war allerdings von kurzer Dauer. Mit der Bibel beschäftigt er sich seit seiner Jugendzeit. Amerikanische Folksongs hatten ihm ein biblisch geprägtes Vokabular geschenkt, das er sich mehr als seine jüdische Tradition aneignete. Das war die künstlerische Währung der Welt, in der er lebte. Auch mag er dabei in einer anderen Nachfolge gewandelt sein: Sein grosses Idol war seit Kindertagen der Ur-Rock-’n’-Roller Little Richard. In seinem allerersten aufgenommenen Interview drehte der junge Bobby Zimmerman 1961, als man ihn auf Woody Guthrie festlegen wollte, den Spiess sofort gekonnt um und befragte den verdatterten Interviewer. Ob der Little Richard höre? Tat er nicht. Und Little Bob begann, Little Richard anzupreisen. «He’s a preacher now», erklärte er, heute sei er ein Prediger, aber Bobby habe in seinen Stil gespielt. – Little Richard war da schon seit Jahren als «Born Again» unterwegs: Dass Rock-Singen in Gospel-Predigen übergehen kann, war Dylan von Anfang an bewusst. Und so hat er sich seinen Schuljungenwunsch, sich Little Richard (den er später übrigens ermuntert haben soll, zum Judentum überzutreten) anzuschliessen, doch noch erfüllt.

Das Mysterium der Stimme, des Singens, des Be-Stimmtseins ist die prägende Erfahrung in Dylans Leben. Die Erfahrung dessen, der singt, eröffnet ihm die Fragen nach der Quelle des Stimmens und Einstimmens. Die Jesus-Predigt vom 26. November 1979 in Tempe wurde hier etwas ausgebreitet, um nachvollziehbar zu machen, wie Dylan sein Publikum einerseits verscheuchte, wie er sich dabei anderseits unerschrocken als Suchender wie als Künstler gerecht blieb. Er stand hin für das, was im Moment seine Erfahrung war, und verlieh seinem Auftritt so jene Authentizität, die die übernommenen Interpretationen missen liessen. Und übte dabei freimütig aus, was seine Kunst als Performer vielleicht mehr als alles andere prägt: seine unaufhörliche Re-Interpretation seiner eigenen Songs und deren Auferstehung im Akt des Singens.

Auferstehung, Wiedergeburt ist die grundlegendere Erfahrung unter dem «Born Again»-Label, gegen das er stets polemisierte. Das Thema ist nicht nur geblieben, in seinen letzten Werken (im Album «Rough and Rowdy Ways» und in seinem Buch «The Philosophy of Modern Song») ist es ins Zentrum gerückt als die Erfahrung des Singens und die Bedeutung des Lieds: «(…) so ist das mit der Musik. Sie entspringt ihrer Zeit, ist aber zeitlos (…). Musik überwindet die Zeit, weil sie in ihr lebt, so wie es die Reinkarnation einem ermöglicht, das Leben zu überwinden, indem man es immer wieder von Neuem lebt.» Schreibt der Sänger in seinem neunten Jahrzehnt.

Katarina Holländer ist Publizistin und lebt in Zürich und Prag.

Katarina Holländer